Demokratie braucht den öffentlichen Raum
Im Alltag fällt der öffentliche Raum kaum auf, bedeutsam wird er meist erst dann, wenn Störfaktoren auftreten. Dabei stellt er eines der essentiellen Werkzeuge demokratiepolitischer Prozesse dar. Es ist der physische sowie mentale oder digitale öffentliche Raum, der Diskurse erst ermöglicht.
Viel wird derzeit über die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) geschrieben. Ihre mögliche Bedeutung begreift man vielleicht am ehesten, wenn man sich der aktuellen Diskussion über die unternehmerischen Herausforderungen ein wenig entzieht und stattdessen einen Blick darauf wirft, wie sich der digitale Raum in den nächsten Jahren ändern wird. Hier wartet eine der großen Herausforderungen für die Demokratie. Es geht um nichts Geringeres als den öffentlichen Raum, jenen Bereich, wo Kommunikation und damit Denk- und Erfahrungsprozesse stattfinden sowie die Strukturen des Miteinander – auch in Beziehung zum Staat – geprägt werden.
Benützt wird der öffentliche Raum täglich, sobald Menschen mobil sind, sei es der Weg durch einen Park, über einen Platz, entlang einer Stadtmauer, häufig auch durch das Sitzen in einem Schanigarten. Es sind die „kleinen Inseln der Freiheit“ (Don Mitchell in Garrett 2015) Ihrer Bedeutung wird man sich meist erst bewusst, wenn etwas in diesem Raum stört. Ungewollte Graffiti, herumliegender Müll, Unmut beim Urban Gardening, zu laute Jugendliche, Gerüche vom Grillen im Freien, je nach Geschmack und Bedürfnis sind die Störfaktoren andere und bei Ärger wird der sonst meist ignorierte öffentliche Raum zum Politikum, wie das Beispiel des Wiener Prater aktuell zeigt.
Ein Ort für Widerstand?
Der öffentliche Raum ist per se politisch. Es ist der Ort, wo sich Diskurs entwickelt, wo sichtbar wird, was eine Region braucht, oder vielmehr was die Menschen brauchen. Denn der öffentliche Raum wird charakterisiert durch die Menschen, die ihn einnehmen. Häufig wissen sie nicht einmal, dass sie es tun. Selbst die Parkbank, auf der man kurz innehält, spielt eine sozial(politisch)e Rolle, allein durch ihren Standort oder durch jenen, an dem sie nicht stehen soll/darf.
Schon immer war der öffentliche Raum Schauplatz politischer Aktion, meist im Sinne des Widerstandes oder der Rebellion. Die Beispiele des Tiananmen Platzes (Peking), des Tahrir Square (Kairo) oder des Gezi-Parks (Istanbul) sind in die Geschichte eingegangen und es gibt zahllose weitere Beispiele. Von einer Demokratie wird erwartet, Widerstand im öffentlichen Raum zuzulassen. Demonstrationen, künstlerische Interventionen, Protestaktionen, all das ermöglicht ein demokratisches System nicht nur, sondern braucht es auch. Zuweilen sind die ausgesuchten Orte relativ unverdächtig, insbesondere dann, wenn das politische System Widerstand unterdrückt. Judith Butler etwa nannte in einem Interview das Schwimmbad ihren liebsten öffentlichen Raum, weil sich dort Menschen verschiedenster Generationen und Herkunft begegnen. Insbesondere der Umstand des An- und Auskleidens führt zudem soziale Hierarchien quasi ad Absurdum.
Wachsende Städte
Das Stadtleben benötigt öffentliche Räume mehr noch als ländliche Gebiete, wo das Dorfgasthaus zuweilen die Funktion eines solchen Raums übernimmt. Derzeit leben mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung in Städten, im Jahr 2050 könnten es 66 Prozent und mehr sein. Die bevölkerungsreichste Stadt wird dann in Indien liegen, derzeit ist es Tokyo. Auch in Österreich ist die zunehmende Urbanisierung spürbar, mit allen Vor- und Nachteilen. Lässt man beiseite, was dies umwelttechnisch und organisatorisch bedeutet, bleibt die Frage nach den sozialen und politischen Folgen. Dabei dreht es sich nicht nur um den Zugang zu Trinkwasser, medizinischer Versorgung, Bildung und anderem, sondern es geht zunehmend darum, wie man das Leben in den (Groß-)Städten möglichst konfliktfrei organisiert. Nicht zuletzt deswegen betrachten die Vereinten Nationen und die Weltbank den öffentlichen Raum als essentiell.
Statistisch gesehen nimmt dieser allerdings im Verhältnis zu den mehr werdenden StadtbewohnerInnen ab (Garrett 2015, TAI 2015). Dasselbe gilt für den mentalen (oder auch virtuellen/digitalen) öffentlichen Raum, da eine „(partielle) Lösung räumlicher Bindungen von Kommunikation stattfindet“ (Wallner/Adolf 2014). Der soziale Raum ist somit nicht mehr nur ein physischer; die Identitäten ebenso wenig. Obwohl man davon ausgehen kann, dass dies allgemein verständlich ist, ist es nicht allen bewusst – noch weniger das damit verbundene Potential. Der öffentliche Raum ist nämlich auch all das, was in sozialen und anderen (digitalen) Medien geschieht. Es sind öffentliche Freiräume, unverzichtbar für die demokratische Entwicklung.
Der überwachte Raum
Die Staaten greifen immer stärker in die Privatsphäre der BürgerInnen ein, nicht zuletzt durch Überwachung; etwa in Form von Videokameras und deren Auswertung, wo die Vermischung zwischen abnehmendem physischen und digitalem Raum besonders deutlich wird. Letzterer ist ebenso in Gefahr, was durch die Datensensibilität vielleicht noch folgenreicher ist. Während Firmen Besserung geloben, dienen insbesondere die Orte digitaler Begegnungen, wie Facebook, Whatsapp etc. der marketingmäßigen Auswertung, ermöglichen als System aber auch Überwachung und Datendiebstahl. Wenn Menschen sagen, das mache nichts, weil sie ohnehin nichts zu verbergen haben, vergessen sie vor allem eines: Was wenn ein demokratisches System zu kippen droht? Was wenn der Staat aus bestimmten Gründen Zugriff auf die Daten nimmt und diese verknüpft? Was, wenn die Information über eine potentielle schwerwiegende Erbkrankheit an den Arbeitgeber geht oder die Bilder einer politischen Veranstaltung mit jenen des Kreditgebers abgeglichen werden? Auf dem Spiel steht nichts Geringeres als die Meinungs- und Bewegungsfreiheit., wobei das Spannendste an dieser Entwicklung eine gewisse Schere im Kopf ist: der vorauseilende Gehorsam und die Selbstzensur. Was man zu dürfen glaubt und tut, wird immer wieder dem angepasst, was gesellschaftlich als opportun betrachtet und moralisch vertreten wird. Denkverbote werden hausgemacht und hängen nicht nur von staatlicher Repression ab. Die Demokratie ist somit auch durch das alltägliche Verhalten ihrer BürgerInnen in Gefahr.
Insofern ist es verwunderlich, dass das Thema in der politischen Bildung eher marginal vorkommt. Ohne öffentlichen Raum keine Demokratie, wahrscheinlich auch keine politische Bildung, weil das Politische den öffentlichen Diskurs benötigt, und jener wiederum physische und mentale Orte, wo dieser stattfinden kann.
Weitere Quellen:
Statistik der 101 größten Städte im Jahr 2050: Erst an 40. Stelle scheint die erste europäische Stadt auf, Paris, mit wahrscheinlich 11,1 Millionen Einwohnern im Jahr 2015, wobei eine andere Statistik schon für das Jahr 2035 das Überschreiten der 12 Millionen voraussagt. Eine gute Übersicht über die Entwicklung der globalen Urbanisierung von 1950 bis 2025 findet man auch hier.
Garrett, Bradley L. (2015): The privatisation of cities‘ public spaces is escalating. It is time to take a stand, in The Guardian (4. Aug. 2015), (Zugriff: 1. Juni 2018)
Transparency & Accountability Initiative (TAI; 2015): Improving the Measurement of Civic Space. London: Open Society Foundation
Wallner, Cornelia/Adolf, Marian (2014): Räume und Kontexte öffentlicher Kommunikation, in Wimmer, J./Hartmann M. (Hrsg.), Medienkommunikation in Bewegung, Springer Fachmedien: Wiesbaden