Demokratie – kein Ende in Sicht

Im Mai 1968 schrieb die Grande Dame des deutsch(sprachig)en Journalismus, Marion Gräfin Dönhoff, in der Zeit einen Text zur Krise der Demokratie. Dönhoff stellte damals fest: Nicht nur, dass die großen Demokratieskeptiker (egal ob Einzelpersonen oder Parteien) nicht verraten, welches System ihnen besser als eine Demokratie schiene, sie argumentieren auch nicht, warum ein anderes System besser wäre.

Das scheint sich seitdem nicht verändert zu haben. Glaubt man Medienberichten, Kommentaren und manchem/r PolitikerIn, steht es aktuell besonders schlecht um die Demokratie. Einzelne Akteure stimmen bereits ihren Abgesang an, unter ihnen der italienische Philosoph Franco Berardi, der jegliche Hoffnung zunichte machend ankündigt, die Demokratie werde nicht wiederkehren. Wenig verwunderlich, dass ein Alt-Marxist nicht an die Auferstehung glaubt, doch seltsam, dass er nicht verrät, was danach kommen könnte. Dies hat er mit Strömungen ganz anderer politischer Ausrichtung (z.B. AfD) gemeinsam.

Meist wird nicht nur von einem Tod ausgegangen; jener der Demokratie scheint in den Vorstellungen einherzugehen mit dem der Europäischen Union. Allerdings eignet sich die EU für die Rolle der Schuldigen nur solange sie existiert. Ihre Abschaffung würde den nationalistischen Parteien den Sündenbock nehmen.

Wie definiert sich eine Krise?

Doch bleiben wir bei der Demokratie: Wie definiert sich eine Krise? Ist eine sinkende Wahlbeteiligung oder die vermehrte Systemkritik bereits eine Krise? Die technischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben das gesellschaftliche Miteinander verändert. Dies hat Auswirkungen auf das politische Verständnis. Wenn Umfragen zeigen, dass sich österreichische BürgerInnen die starke Hand eines führenden Politikers (ja, männlich!) durchaus vorstellen können, liegt das nicht zuletzt an den sozialen und technischen Veränderungen, die verunsichern. Ist somit die Demokratiekrise vor allem ein Gefühl in einer instabil wirkenden Zeit? Oder eher der Wunsch jener, die die liberale Demokratie mit Hilfe einer herbeigeredeten Krise in eine tatsächliche führen wollen, um nahezu widerspruchslos ein anderes System einführen zu können (siehe Ungarn oder die Türkei)?

Konrad Paul Liessmann glaubt, dass die Debatte über eine Krise vor allem aufgrund von ungeliebten Wahlergebnissen geführt werde. Es gehört zur Demokratie, dass sich Mehrheiten ändern und unterschiedliche Parteien an die Macht kommen. Das trifft nicht immer den eigenen Geschmack, doch gerade daraus entwickelt sich Neues. Im besten Fall nimmt das Interesse an politischer Partizipation zu. Schwieriger wird es, wenn nicht mehr alle Parteien und PolitikerInnen pro Demokratie eingestellt sind, denn man kann ein System auch zerstören, indem man an ein unabwendbares Ende glauben lässt. Zu den einfachsten Propagandaregeln gehört, eine Idee so oft zu wiederholen, bis sie ins allgemeine Gedankengut eingesickert ist – etwa die schwere Krise der Demokratie. Dann ergibt sich ein Spielraum (oder das politische Mandat) für das, was man eigentlich durch- oder einführen möchte. Ebenfalls Teil von Propagandamaßnahmen sind das ständige Auswählen und Vermischen von Fakten – heute gerne als Polemik verharmlost. Auch das hilft, den eigenen Spielraum zu vergrößern.

So gefährlich manche Tendenz aussehen mag, so wenig hilfreich ist das Krisengerede. Die Demokratie wird nie perfekt sein und nie fertig. Sie kann nur als Prozess verstanden werden, ein Weg mit vielen Kurven. Manche davon mag wirken, als böge sie dorthin ab, wo man schon war, doch auch das gehört dazu. Nur in Bewegung bleibt Demokratie stabil und offen genug, um die Bedürfnisse der Bevölkerung zu spiegeln. Marion Gräfin Dönhoff hat vor 30 Jahren beweint, dass an die Stelle großer Denker und Idealisten die Bürokratie und BerufspolitikerInnen getreten sind. Sie schlug vor, letztere parlamentarisch zu schulen, um mehr Verständnis für die Demokratie zu erreichen. Den anderen kann man nur Wachsamkeit empfehlen.

 

Am 26. Juli erscheint der zweite Teil dieses Beitrags, der sich mit den Meinungen der Bevölkerung zur Demokratie auseinandersetzt.