Der österreichische Föderalismus
Unterschiedlichste Themen, wie beispielsweise die aktuelle Debatte um die Finanzierung der Kinderbetreuung, geben immer wieder Anlass zu Diskussionen über die Perspektiven und Zuständigkeiten von Bundesregierung und Bundesländern in Österreich. Doch wie ist das Verhältnis zwischen Bund und Ländern in Österreich aktuell ausgestaltet?
Das Bundesverfassungsgesetz (B-VG) legt in Artikel 2 sowie weiteren Bestimmungen für Österreich das Prinzip des Bundesstaats, der aus selbstständigen Bundesländern besteht, fest. Es räumt den neun Ländern eine relativ autonome Landesgesetzgebung und -verwaltung und somit eigene Rechte, Kompetenzen und Legitimität ein. Obwohl die sog. Generalklausel in Artikel 15 des B-VG festschreibt, dass alle nicht ausdrücklich dem Bund zugeschriebenen Kompetenzen in die Zuständigkeit der Bundesländer fallen, werden viele sehr wichtige Kompetenzen explizit dem Bund zugewiesen. Im Vergleich zu anderen föderal organisierten Bundesstaaten, wie Deutschland oder den USA, erweist sich der österreichische Föderalismus jedoch als relativ gering entwickelt.
Das eindeutige Kompetenzübergewicht des Bundes in der Gesetzgebung und Vollziehung gegenüber den Bundesländern spiegelt sich in vier Modi der Gesetzgebung und Vollziehung in Österreich wieder (siehe Tabelle): (1) In vielen Bereichen geschieht die Gesetzgebung und Vollziehung durch den Bund. Sie reichen von Wirtschaftspolitik und Äußeren Angelegenheiten bis hin zu Gesundheitswesen und Bildungspolitik. (2) Die starke Position des Bundes wird außerdem durch die mittelbare Bundesverwaltung untermauert, in deren Rahmen der Bund Gesetze erlässt, die die Bundesländer anschließend vollziehen. Hierzu zählen beispielsweise das Staatsbürgerschaftsrecht, berufliche Vertretungen oder Umweltverträglichkeitsprüfungen. (3) Daneben existieren einige Themenbereiche, in denen der Bund Grundsatzgesetze erlässt, welche anschließend durch Ausführungsgesetzte und Vollziehung des Landes implementiert werden. Dies ist beispielsweise bei Sozialhilfe, Krankenanstalten oder Teilen des Elektrizitätswesens der Fall. (4) In weiteren Bereichen, wie Länderrecht, Gemeinderecht oder Baurecht, jedoch erfolgt die Gesetzgebung und ihr Vollzug ausschließlich durch die Bundesländer. Nur in diesem, vierten Modus liegen somit alle Kompetenzen bei den Ländern.
Gesetzgebungs- und Vollziehungskompetenzen von Bund und Ländern
Neben den Möglichkeiten der Gesetzgebung und Vollziehung können die Bundesländer über den Bundesrat, als zweiter parlamentarischer Kammer, in der sie vertreten sind, in manchen Bereichen an der Gesetzgebung des Bundes mitwirken. Jedoch kommt dem Bundesrat nur ein aufschiebendes Veto zu, das durch einen sog. „Beharrungsbeschluss“ des Nationalrats mit einfacher Mehrheit überstimmt werden kann. Darüber hinaus sind die Landeshauptleute – laut Verfassung – an die Weisungen der zuständigen BundesministerInnen gebunden.
Neben den vergleichsweise geringen Kompetenzen hinsichtlich der Gesetzgebung und Vollziehung verfügen die Bundesländer außerdem über keine eigene Straf- und Zivilrechtsgerichtsbarkeit. Seit 2014 haben sie jedoch eine eigene Verwaltungsgerichtsbarkeit. Auch hinsichtlich der Finanzen dominiert in Österreich der Bund. Obwohl die Bundesländer eigene Abgaben einheben können, werden die wesentlichen Steuern, wie Mehrwertsteuer oder Einkommensteuer, und auch der Großteil der Steuern ausschließlich vom Bund eingehoben. Über 90 Prozent der Steuereinnahmen in Österreich werden durch den Bund als gemeinschaftliche Bundesabgaben eingehoben. Im Rahmen des Finanzausgleichs, der jeweils für einige Jahre gilt und regelmäßig neu verhandelt wird, erhalten die Bundesländer ihre Mittel aus den gesamten Steuereinkommen des Bundes.
Realpolitisches Gewicht der Bundesländer
Trotz ihrer geringen verfassungsrechtlichen Kompetenzen haben sich die Bundesländer in der Zweiten Republik als sehr einflussreich erwiesen. ForscherInnen führen dies auf das historisch gewachsene Landesbewusstsein und die damit einhergehenden bundesländerspezifischen Identitäten zurück. Diese manifestieren sich beispielsweise in einer hohen faktischen Autonomie der Länderorganisationen von Parteien oder Kammern und stärken somit indirekt die Verfassungsorgane der Bundesländer, wie Landesregierungen. Weiters setzen die österreichischen Bundesländer zur Stärkung ihrer Rolle in der Bundespolitik auf einen kooperativen Ansatz. Als Instrument der gemeinsamen Vertretung der Länderinteressen wurde die Landeshauptleutekonferenz als informelles, regelmäßiges Zusammentreffen der neun Landeshauptleute eingerichtet. In diesem Rahmen stimmen die Landeshauptleute das gemeinsame Vorgehen gegenüber dem Bund ab. Die dort getroffenen Absprachen haben sich als realpolitisch sehr durchsetzungsfähig erwiesen.
Reformen nötig – aber wie?
Grundsätzlich ist das Prinzip des Föderalismus in Österreich unumstritten. Jedoch werden immer häufiger und mit wachsendem Nachdruck Rufe nach einer Neuverteilung der Kompetenzen und Finanzen zwischen Bund und Ländern laut. Bisherige Reformversuche, beispielsweise im Rahmen der 1989 ins Leben gerufenen sog. Strukturreformkommission oder des Osterreich-Konvents aus den Jahren 2003 bis 2005, waren weniger erfolgreich. Sie deuten so auf die Schwierigkeit des Unterfangens hin.