Der Ruf nach einem Comeback-Plan Demokratie
Nicht nur in Österreich konzentrieren sich Politiker*innen derzeit auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau nach der Covid-Pandemie. Die amerikanische Nicht-Regierungsorganisation Freedom House warnt unterdessen, dass zu wenig für die Sicherheit der weltweiten Demokratie getan werde. Zum 15. Mal in Folge haben sich mehr Länder demokratiepolitisch verschlechtert als verbessert.
Im Detail bedeutet das, dass von 195 untersuchten Staaten 73 in der Demokratiebewertung abgerutscht sind und lediglich 28 Staaten ihre Demokratie weiterentwickeln konnten (siehe Grafik). Anders ausgedrückt erlebten rund Dreiviertel der Weltbevölkerung in ihrem Land einen Rückgang der Demokratie.
Man muss dazu anmerken, dass die Veränderungen oftmals klein sind: im Schnitt veränderten sich die Rankings auf der 100-Punkte umfassenden Skala nur um rund zwei Punkte nach oben oder unten. In Summe sind aber die weltweiten Zugewinne mit 55 Punkten über alle Länder gerechnet deutlich kleiner als die Verluste mit 145 Punkten.
Grafik: Katrin Praprotnik
Quelle: Freedom House (2021:2).
Am weitesten abgerutscht ist Kirgisistan in Zentralasien (-11 Punkte) unter anderem aufgrund einer als irregulär gewerteten Parlamentswahl und politischer Gewalt. Am stärksten zugelegt haben die Seychellen im indischen Ozean (+5 Punkte) und der Sudan in Nordost-Afrika (+5 Punkte). Auf den Seychellen wurde der Präsidentschaftswahlmodus demokratiepolitisch gestärkt und der erste ordentliche Machtwechsel hin zu einer Oppositionspartei vollzogen. Im Sudan wurde die akademische Freiheit gestärkt, weibliche Genitalverstümmelung verboten und ein Gesetz, welches die Reisefreiheit von Frauen ins Ausland eingeschränkt hatte, aufgehoben. Österreich hat sich im Vergleich zum Vorjahr stabil bei 93 Punkten halten können und auch in Europa gab der Index kaum nach (rund 86 Punkte).
Die Ursachen
Die Ursachen für den weltweiten Rückgang der Demokratie können nur teilweise in den harten Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung gefunden werden. Die USA verloren beispielsweise drei Punkte ihrer Demokratiebewertung unter anderem aufgrund des strukturellen Rassismus im Land und den wiederholten Äußerungen des damaligen Präsidenten Donald Trumps über Wahlbetrug, die nicht belegt wurden. Anderorts verschlechterte sich die sicherheitspolitische Lage zusehends oder es kam zu Kriegen (Äthiopien, Region Bergkarabach). Zudem waren viele Protestbewegungen aus 2019 mit ihren Anliegen nicht erfolgreich und nur wenige Staaten wie beispielsweise Chile schafften in deren Folge eine Verbesserung ihrer Demokratien.
Mit Blick auf die Pandemie stellt Freedom House den freien Ländern grundsätzlich ein positives Zeugnis aus und sieht die gravierenden Einschnitte in die Freiheit der Bürger*innen – etwa im Bereich der Versammlungsfreiheit – als verhältnismäßig und notwendig. Kritisiert wurde in Europa dennoch die Umsetzung vieler Maßnahmen, die die Rechte von Minderheiten (z.B.: Frankreich, Bulgarien, Niederlande) nicht ausreichend bedacht haben oder nicht ausreichend im parlamentarischen Prozess diskutiert wurden (z.B.: UK, Spanien). In der Kritik standen zudem die Notstandsermächtigungen an Ungarns Präsident Viktor Orbán und der Versuch in Polen die Wahlkommission zu umgehen um die Briefwahl bei der Präsidentschaftswahl einzuführen. In diktatorisch geführten Ländern wie etwa Venezuela oder Kambodscha wurde die gesundheitspolitische Lage nach den Einschätzungen von Freedom House jedoch genützt, um die eigene Macht auszubauen.
Die Methode
Die Bewertung der Demokratiequalität beruht dabei auf einer Umfrage unter Länderexpert*innen, die auf Basis der Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte ausgearbeitet wurde. Diese müssen anhand eines Fragenkataloges die politischen Rechte und bürgerlichen Freiheiten in ihrem Land bewerten. Pro Frage können maximal vier Punkte vergeben werden, wobei eine höhere Anzahl an Punkten einer höheren Demokratiequalität entspricht und somit maximal 100 Punkte vergeben werden können. Auf Basis dieses Rankings werden die Staaten in freie, teilweise freie und nicht freie Länder unterteilt und die Freedom-in-the-World Landkarte erstellt.
Die Kritik
Freedom House legt eine mögliche Art der Demokratiemessung vor, die auch nicht unumstritten ist. Kritiker*innen warnten in der Vergangenheit, dass insbesondere bei älteren Messergebnissen jene, mit Amerika verbündete Staaten besser bewertet wurden. Andere Indizes, wie der Democracy Index der Zeitschrift The Economist, gehen zudem von einem breiteren Demokratieverständnis aus. Der Democracy Index misst beispielsweise auch die politische Kultur im Land und setzt neben Länderexpert*innen auch auf Umfrageergebnisse der Bevölkerung. In seiner grundlegenden Bewertung stimmt der Democracy Index mit Freedom House allerdings überein: 2020 war ein schwarzes Jahr für die Demokratie. Der Democracy Index 2020 weist das global gesehen niedrigste Niveau seit seiner Gründung im Jahr 2006 auf.