Die einseitige Festung – Österreich und die Abschottung Europas
Offene Grenzen innerhalb der EU und verstärkter Grenzschutz nach außen, während es dem UN-Migrationspakt in Österreich an Unterstützung fehlt. Steckt dahinter eine Polemik oder eine unterschiedliche Weltsicht verschiedener Staaten?
Auf die Frage, von welcher Errungenschaft der Europäischen Union sie persönlich profitieren, antworten 70 Prozent der befragten ÖsterreicherInnen: von den offenen Grenzen. Billigeres Telefonieren in der EU oder erweiterte Konsumentenrechte scheinen den ÖsterreicherInnen wesentlich unwichtiger zu sein. So zumindest lauten die Antworten für die aktuelle Version der EU-weiten Umfrage Eurobarometer. Ebenso freuen sich die Deutschen über offene Grenzen (73 Prozent), im Gegensatz zu den ItalienerInnen (37 Prozent), EU-weit meinen 53 Prozent davon zu profitieren.
Frontex als Schutz gegen Migration
Nach außen hin sieht das anders aus. Europa schottet sich ab. Das Schließen der Balkanroute ist zum politischen Bonmot geworden und die Pläne rund um die EU-Grenz- und Küstenschutzagentur Frontex (seit 2016 eigentlich EBCG, European Border and Coast Guard Agency) deuten auf immer mehr Kontrolle nach außen hin. Das Personal für die Außengrenzüberwachung soll in den kommenden Jahren auf 10.000 ansteigen (derzeit ca. 1.000) und das Budget von 2021 bis 2027 auf 11,3 Millionen Euro gehoben werden.
Bei einem derart ausgebauten Grenzschutz verwundert es kaum, dass die ÖsterreicherInnen glauben, die Zahl der MigrantInnen sei fast doppelt so hoch, wie sie de facto ist (20,1 % versus real 10,4%). Diese falsche Einschätzung zieht sich mit wenigen Ausnahmen quer durch die EU und lässt sich auch auf die starke Dominanz des Themas in den Medien und in politischen Reden zurückführen.
Abschottung oder Ursachenbekämpfung?
Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind seit 2015 etwa 244 Millionen MigrantInnen unterwegs, Tendenz steigend. Der Klimawandel, Konflikte sowie Hunger werden dafür sorgen, dass diese Zahlen nicht sinken. Dementsprechend setzen die einen Länder auf Abschottung, die anderen auf internationale Regelwerke zur Ursachenbekämpfung.
Um letzteres bemüht sich das UN-Migrationsabkommen (Global Compact for safe, orderly and regular Migration) (QUELLE), das darauf setzt, die Ursachen für Migration gleich in den Herkunftsländern zu bearbeiten, auch wenn die Formulierungen dafür noch vage sind. Migration wird nicht als drohendes Übel gesehen, sondern als ein Umstand, der in jedem Fall stattfindet, den man ordnen muss und dem man sich nicht dauerhaft verschließen kann.
Zwar wurde das Abkommen unter der Mitarbeit Österreichs ausverhandelt, doch droht die Bundesregierung derzeit, es nicht zu unterzeichnen. Ein Grund liegt ganz banal in seiner Existenz. Wer ein Migrationsabkommen unterschreibt, gibt zu, dass die Migration eine langfristig existierende Herausforderung ist und schränkt dadurch den eigenen (wenngleich oft fiktiven) Handlungsspielraum ein. Letzteres ist beim aktuellen Abkommen nicht einmal sicher, doch ein Nein lässt sich leichter verkaufen, zumal das Wort Migration den ungeliebten Begriff „Flüchtling“ beinhaltet.
Dennoch überrascht Österreichs Haltung, denn es geht in dem Pakt genau darum, was auch Österreichs Regierung gerne hätte: eine Regelung der Migration, für die alle Staaten zusammenarbeiten. Es soll gemeinsam gegen Schlepper und Menschenhandel vorgegangen werden, und ganz wesentlich: Die Gründe für Migration und Flucht sollen bekämpft werden, sodass die Menschen gar nicht erst umsiedeln müssen. Frontex wäre davon in keiner Weise bedroht.
Und schließlich ein Paradox
Hier zeigt sich die unterschiedliche Weltsicht, die einerseits dem UN-Abkommen, andererseits der Frontex-Erweiterung zugrunde liegt, sodass sich ein Paradox ergibt, das man auch aus der Argumentation von Bundeskanzler Sebastian Kurz kennt: Abschottung, um Leben zu retten. Sowohl die Vereinten Nationen als auch die Europäische Union möchten mit ihren Plänen die Migration regeln und zudem MigrantInnen vor Menschenhandel und anderen Gefahren schützen. Die UNO versucht dies über Zusammenarbeit und einen Blick in die weitere Zukunft. Die Mitgliedstaaten der EU wiederum können sich auf keine langfristige Regelung einigen. Das führt dazu, dass sie jenen MigrantInnen, die sie zu schützen vorgibt, durch strikte Einreiseverbote und Rückschiebungen das (Menschen-)Recht auf genau diesen Schutz abspricht. Das Paradox als solches wird ungern angesprochen, weil es unlösbar scheint. Der UN-Migrationspakt versucht zumindest partiell eine Antwort darauf zu finden, wird dies aber nicht können, wenn immer mehr Staaten, wie Österreich, die Unterschrift verweigern wollen.