Keine Demokratie ohne freie Presse

Die Pressefreiheit gerät in Österreich wie international immer deutlicher unter Druck. Dabei scheint insbesondere von den KritikerInnen des Journalismus vergessen zu werden, wie wesentlich eine freie Presse für die Demokratie ist.

In Myanmar wurden kürzlich zwei Reuters-Journalisten zu sieben Jahren Haft verurteilt, weil sie zur Ermordung von Rohingya recherchiert hatten. In Mexiko werden JournalistInnen massiv bedroht, entführt, ermordet. In Honduras haben die meisten gelernten Reporter ihren Job längst aufgegeben, weil er zu gefährlich ist. Im Libanon ist aus demselben Grund die Selbstzensur stärker als die vermeintliche Pressefreiheit. Anlässe, über die Pressefreiheit nachzudenken, gibt es derzeit reichlich, und wer meint, dass dies nur für sogenannte Entwicklungs- oder Schwellenländer gälte, irrt. In der Bewertung der Pressefreiheit durch Reporter ohne Grenzen verlor ausgerechnet ein EU-Mitglied 2018 die meisten Plätze: Nicht zuletzt aufgrund des Mordes an der Journalistin Daphne Caruana Galizia rutschte Malta um 18 Plätze zurück auf Rang 65. Damit liegt es zumindest noch vor Ungarn, das sich selbst auf Platz 73 manövriert hat. Ebenfalls deutlich nach unten gerückt sind die Slowakei und Tschechien.

Österreich kann sich für dieses Jahr zwar auf Platz 11 halten, doch ebenfalls mit weniger Punkten als im Vorjahr. Schuld daran sind vor allem verbale Attacken auf ORF- und andere JournalistInnen, zum Teil auch von Seiten einer Regierungspartei. Die aktuelle Lage beobachtend, sieht Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich, schon jetzt eine Verschlechterung für die nächste Jahresstatistik kommen.

Eine der negativen Folgen einer weniger freien Presse ist der Umstand, dass sich nicht nur die BürgerInnen, sondern auch die JournalistInnen an die Situation gewöhnen und manche Vorgänge als gegeben hinnehmen. Das kann zu einer gewissen Recherche- und Kontrollmüdigkeit führen. An manchen Stellen der österreichischen Presse mag dies aktuell der Fall sein, denn am 23. August erinnerte der Senat des Österreichischen Presserats in einer Grundsatzerklärung an seinen Ehrenkodex, indem er feststellte, dass JournalistInnen Meldungen nicht einfach ohne diese zu prüfen übernehmen sollten, selbst wenn die Meldungen von der Regierung kommen. Zudem sei es journalistische Aufgabe, jeweils auch die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen, anstatt die Behauptung einer Partei, Person oder Gruppe unhinterfragt abzubilden.

Das ist auch deshalb so wesentlich, weil historisch gesehen die Pressefreiheit gerade aus dem Wissen heraus entwickelt wurde, dass andere, unliebsame und durchaus auch unbequeme Meinungen an die Öffentlichkeit kommen müssen, um diskutiert zu werden. Nur wenn es Zugang zu verschiedenen Meinungen und Ideen gibt, ist es den Menschen möglich, gemäß ihren Rechten und Pflichten als BürgerInnen eines demokratischen Regimes zu handeln.

Einer der ersten, der dies erkannte, war der Priester Anders Chydenius, der dem Schwedischen König dieses Recht im Sinne des sozialen Friedens abringen konnte. Das war im Jahr 1766, somit noch vor der Französischen Revolution, die dem  Schwedischen König 1789 so viel Angst einjagte, dass er das liberale Gesetz bald wieder abschaffte. Dennoch begann sich die Pressefreiheit aufgrund der Französischen Revolution und der US-Unabhängigkeitserklärung in vielen Staaten durchzusetzen. Österreich brauchte bis nach der Märzrevolution von 1848, um auch nur ernsthaft darüber nachzudenken. 1867 schließlich wurde die Pressefreiheit gesetzlich festgelegt, während der beiden Weltkriege wieder abgeschafft und konnte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg langfristig etablieren. Das Grundgerüst dafür stammt noch heute von 1867.

Die Pressefreiheit in Österreich (und in anderen Ländern) sieht vor, dass die einzelnen Redaktionen und Medienhäuser Redaktionsstatuten ausarbeiten können, in denen festgelegt wird, wie sich JournalistInnen und Redaktion des jeweiligen Mediums verhalten sollen. Diese Regelungen sind wesentlich konkreter als das Gesetz. Grundsätzlich gilt, dass es für den vielzitierten „guten Journalismus“ nichts anderes braucht als gut recherchierten, ethischen Journalismus und RedakteurInnen sowie HerausgeberInnen, die den Mut haben, solche Artikel und Berichte zu publizieren. Das ist viel Arbeit und gehört doch zur ganz normalen Aufgabe. Dennoch sieht es derzeit in Österreich und anderen Ländern danach aus, dass die Regelungen für die freie Presse zunehmend ins Wanken geraten.

 

Foto: Daniela Ingruber; Aufschrift „unabhängig“ auf dem Fenster der guatemaltekischen regierungskritischen Zeitung nómada.gt

Ein wenig anders sieht dies der Spiegel-Journalist Jan Fleischhauer, der Ende August die provokante Frage stellte: „Seit wann sind wir so zimperlich geworden?“ Er sprach damit jene KollegInnen an, die über die Behinderung ihrer Arbeit und über körperliche Angriffe bei ihrer Berichterstattung über die Vorfälle in Chemnitz geklagt hatten. Natürlich stimmt sein Befund, dass ein Kriegsjournalist mehr zu ertragen hat, aber das Argument ist bestenfalls blauäugig oder absichtlich verniedlichend und lenkt vom eigentlichen Thema ab: Diese Vorfälle sind (international) kein Einzelfall, sondern passen in ein Bild, das sich immer öfter zeigt: der Hass gegen alle, insbesondere JournalistInnen, die anderer Meinung sind oder andere Stimmen als die eigene zu Wort kommen lassen. Den Begriff „Lügenpresse“ gibt es schon seit mehr als 100 Jahren. Es ging dabei stets um die Diffamierung der anderen Meinung, ob rechts oder links, und meist mit Unterstützung von Waffen.

Wenn einer Demokratie die Kraft fehlt, anderslautende Meinungen ohne Gewaltanwendung und ohne wutentbrannte social media-Einträge zu debattieren, dann ist nicht nur die Pressefreiheit in Gefahr, sondern die Demokratie an sich, denn sie braucht die Kontrolle aufgrund von Recherchen und die Kundmachung verschiedener Optionen, Meinungen und darauf folgender Antworten. Ohne freien Journalismus ist sie nicht handlungsfähig und nicht denkbar.