Krise in der Demokratie? Und Partizipation als Antwort?

Am 10. Dezember 2018 fand am Eurac Research in Bozen die deutsch-italienischsprachige Konferenz „Beteiligung der Bürger an Entscheidungsfindungsprozessen: Mögliche Antworten auf die Krise der Demokratie oder Anreiz für populistische Entgleisungen?“ statt. In den Vorträgen und Diskussionen wurden zahlreiche übereinstimmende Einschätzungen zum Zustand der Demokratien in Europa sichtbar.

Gleich zu Beginn der Konferenz (siehe Konferenzprogramm) stellte sich die Frage, wie sich die Krise der Demokratie äußere – und rasch stand fest, dass kaum jemand an eine solche Krise glaubt. Der Bonner Politikwissenschafter Frank Decker sieht die Herausforderung vor allem in den demokratischen Institutionen und deren Strukturen und sagt, dass man bei ihnen ansetzen müsse. Das ist eine Interpretation.

Eine andere Konnotation wäre, eine Krise eher innerhalb der Demokratie und des Verständnisses für sie zu sehen. So sind die Akteure selbst in eine Situation geraten zwischen den Gewohnheiten der Vergangenheit und den Unsicherheiten, die derzeit für die Zukunft stehen. Letztlich ist damit eine Sinnkrise vorgegeben. Daraus ergeben sich vor allem zwei Fragen: Wie geht man in dieser Situation mit der Beteiligung von BürgerInnen um? Und welche Rolle haben die Parteien dabei? Einig waren wir uns dabei weniger in der Zukunft der Parteien als in dem Umstand, dass diese neue Methoden brauchen, vor allem in ihrem Zugehen auf die Bevölkerung.

BürgerInnenbeteiligung als Heilmethode

Die Föderalismusforscherin Martina Trettel von Eurac Research betonte als Lösungsansatz die deliberative oder beteiligungszentrierte Demokratie, in der weit mehr Entscheidungen als in der direkten Demokratie BürgerInnen überlassen werden. Ein klassisches Beispiel dafür sind die Bürgerräte, die auch in Österreich bereits mehrfach (und meist erfolgreich) stattgefunden haben. Vorarlberg gilt hier mit einer eigenen Richtlinie als federführend. Das Interreg Projekt GaYa (Governance and Youth in the Alps) sucht derzeit nach Möglichkeiten der grenzübergreifenden Zusammenarbeit in solch partizipativen Prozessen insbesondere von Jugendlichen.

Der Trentiner Rechtsprofessor Roberto Toniatti geht noch einen Schritt weiter und sieht in der Partizipation eine Therapiemöglichkeit für die Demokratie. Wenn überhaupt, könne die intensive Beteiligung und Einbindung der Bevölkerung diese Regierungsform retten, so Toniatti. Zugleich sieht er wenig Hoffnung. Die aktuellen Wahlergebnisse in Europa seien besorgniserregend, ebenso die Entwicklungen in Ländern wie Ungarn, Polen, Türkei. So warnt er vor allzu großem Optimismus, „denn die Tendenzen sind sehr klar“. Antworten, so Toniatti, hätten wir allesamt keine vorbereitet – er nahm weder PolitikerInnen noch WissenschafterInnen aus und setzte fort, dass er fürchte, tatsächliche Partizipation würde häufig mit der reinen Teilnahme an Wahlen verwechselt.

Depolitisierung als Grund zur Sorge

Sowohl Trettel als auch Toniatti kamen diesbezüglich auf eine Depolitisierung in der Gesellschaft zu sprechen, die auch der Soziologe Marco Brunazzo ansprach. Durch Partizipation lasse sich einer solchen entgegen wirken, vorausgesetzt, dass die BürgerInnen die Chance hätten, zu Informationen zu kommen. Womit man wieder bei der Diskussion über Echokammern in den sozialen Medien wäre, wo man sich vorwiegend mit Gleichdenkenden umgibt. Ebenfalls angesprochen wurde diesbezüglich eine häufig als zu nahe kritisierte Beziehung zwischen MedienvertreterInnen und PolitikerInnen.

Klar scheint derzeit zu sein: Eine Ära geht zu Ende. Die demokratischen Linien der letzten Jahre verändern sich – vielleicht sogar dramatisch. Für jene, die die Bevölkerung verstärkt in politische Prozesse einbinden möchten, heißt das vor allem, immer wieder attraktive und innovative Partizipationsformen zu finden und sich zu überlegen, welche Methoden zu welchen Themen passen, denn ansonsten lande man – wie die Verwaltungsrechtsprofessorin Anna Simonati erklärte – in der unangenehmen Situation, dass auf das früher übliche Partizipationssyndrom NIMBY („Not In My BackYard“) das BANANA-Syndrom folge („Build Absolutely Nothing Anywhere Near Anything“), was soviel bedeutet wie: „Lasst mich in Ruhe“, was zweifellos in eine hoffnungslose Situation sowohl für Partizipation als auch die Demokratie an sich führen würde.

Das NIMBY- und das BANANA-Syndrom in einer Darstellung von Anna Simonati (am Rednerpult). Weiters im Bild, v.l.: Francesco Palermo, Martina Trettel und Roberto Toniatti