Von Recht und Politik
Wenn der österreichische Innenminister behauptet, dass das Recht der Politik zu folgen hat, dann ist dies weder Zufall, noch kann eine nachträgliche Zurechtrückung den Verdacht beseitigen, dass jener „Sager“ Teil eines Plans gewesen ist. Grund genug, sich wieder einmal mit den Grundsätzen der Propaganda auseinanderzusetzen.
Man könnte es sich einfach machen und jenen Satz, den der Innenminister am 22. Jänner 2019 im ORF-„Report“ ausgesprochen hat, als Missverständnis oder Versehen abtun. Auch könnte man einen sarkastischen Kommentar schreiben, wie dies mehrere AutorInnen getan haben, darunter Christoph Winder, der in den Raum stellte, Herbert Kickl agiere aus psychologisch erklärbaren Gründen. Beides bedient ein Publikum, bedeutet aber eine Verniedlichung und zieht nicht in Betracht, dass der Innenminister viel zu intelligent ist, um keinen Plan hinter seinem Satz („Denn ich glaube immer noch, dass der Grundsatz gilt, dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht.“) gehabt zu haben.
Keine Kickl-Aussage ohne Absicht
Christoph Bezemek, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Graz, stellt Kickls Aussagen in eine verfassungsrelevanten und historischen Zusammenhang. Er kommt der Sache damit schon näher, denn auch das setzt eine Absicht voraus. Wie diese aussieht, darüber lässt sich nur spekulieren. Klarer hingegen ist, dass der betreffende Minister die Schule der Propaganda exzellent beherrscht und mit ihren Elementen bestens zu spielen versteht, und dies nicht erst seit einer Woche.
Propaganda folgt Regeln, einfachen Regeln. Da wäre zunächst die Ablenkung. Man zieht die Aufmerksamkeit bewusst auf sich, um in den Medien vertreten zu sein, oder man lenkt sie um, wenn man nicht beobachtet werden möchte. Der FPÖ ist Letzteres seit Herbst 2017 schon einige Male gelungen, etwa mit ihren Plänen rund um das Rauchverbot in Gastbetrieben, das immer dann wieder in die Medien gelangt ist, wenn es bequem die Aufmerksamkeit von anderen Dingen abwenden sollte. Kickl leistet sich gerne Medieninteresse an seiner Person, denn er weiß, dass ihm auch und gerade die Negativberichterstattung Erfolg bringt. Je öfter diese wiederholt wird, desto deutlicher wird er selbst vom Täter zum Opfer. Nebenbei wird damit immer auch der vermeintliche „Sager“ hervorgehoben – und somit ebenfalls wiederholt. Das entspricht einer zweiten Grundregel der Propaganda: etwas, auch wenn es falsch ist, so lange zu wiederholen, bis sich die Masse daran gewöhnt und keinen Widerspruch zu Recht oder Sinn mehr darin sieht.
Verbogene Wahrheiten
All das funktioniert vorzugsweise, wenn man vorher ein Problem erfindet oder vergrößert, und daraufhin eine Lösung anbietet. Im vorliegenden Fall geht es um die Gewaltbereitschaft von geflüchteten Personen. Die Frage ist, ob die Abschaffung der Europäischen Menschenrechtserklärung und die Zerrüttung der verfassungskonformen Rechtsordnung jemals die richtigen Mittel sein können, um solche Gewalt in Zukunft zu vermeiden. Die Antwort darauf kann nur ein eindeutiges „Nein“ sein. Beide dienen bestenfalls als Mittel, um die Bevölkerung in Kleingeister zu verwandeln, deren Eigeninteressen im Vordergrund stehen – übrigens gilt auch dies als Regel für die Propaganda.
Schließlich gehört ebenfalls dazu, dass man etwas nicht nur sagen darf, sondern es tatsächlich tut, weil man kann; auch dann, wenn man weiß, dass es jemandem schadet oder die Gesellschaft spaltet. Da wären wir wieder bei der Aufregung, die man im Stande sein muss, im Sinne der Medienaufmerksamkeit zu erreichen und dann propagandistisch zu nützen. Die falschen Schlüsse, die aus den Aussagen gezogen werden, klärt man nicht auf, sondern lässt sie für sich arbeiten: So muss man nicht lügen, die Wahrheit verbiegt sich quasi von selbst.
Wenn man schließlich erreicht hat, dass sich Menschen nicht nur angesprochen fühlen, sondern meinen, man manipuliere sie nicht und spreche stattdessen ihre individuellen Sorgen konkret an, dann ist das Projekt abgeschlossen. Man hat gewonnen, nicht zuletzt weil sich die WählerInnen verstanden fühlen. Eine Demokratie braucht es, dass solche (rhetorischen) Strategien immer wieder aufgedeckt und hinterfragt werden; eine Aufgabe, der sich beispielsweise das Compression Institute oder das Studentenprojekt Propaganda Project widmen.