Was bedeutet Demokratie für mich? – Ein CLLD Dolomiti Live Interreg-Projekt zwischen Österreich und Italien
Das Thema Demokratie wird seit Jahren in der Wissenschaft diskutiert, immer mehr auch in den Medien, doch was sagt die Bevölkerung selbst dazu? Ein aktuelles Projekt des ADL schaut genau hin und lädt ein zur Diskussion.
Demokratieforschung ist immer eine philosophische Angelegenheit, arbeitet häufig mit Zahlen und wird gerne als Vorhersage missverstanden. Ein Aspekt, der dem Austrian Democracy Lab besonders am Herzen liegt, ist die Frage, wie es um die Demokratiezufriedenheit der Menschen in Österreich steht. Manchmal bietet ein Projekt im Zuge dessen die Gelegenheit, nicht nur über, sondern vor allem mit der Bevölkerung zu interagieren und letztlich gemeinsam zu erforschen, wie es um die unterschiedlichen Vorstellungen und Verständnisse von Demokratie steht.
Die Diskussionen über den Status der Demokratie in Österreich und anderen EU-Ländern wird nicht erst seit der SARS-CoV-2-Pandemie – aber vielleicht seitdem etwas intensiver oder öffentlicher – debattiert. In Zusammenhang damit steht stets die Frage, wieviel Teilhabe sich die Bevölkerung an der Demokratie wünscht, um von „ihrer“ Demokratie zu sprechen, und wie viel die Einzelnen bereit sind, dafür an Zeit und Engagement zu investieren.
Individuelle Vorstellungen von Demokratie
Mit diesen Fragen beschäftigt sich das Austrian Democracy Lab schon seit mehreren Jahren intensiv mit dem Demokratieradar, einer großangelegten halbjährlichen Bevölkerungsumfrage, bei der jeweils um die 4.500 Personen telefonisch oder online befragt werden. Themen bisher waren das Vertrauen in die Politik, Vorstellungen von Partizipation, aber auch von Föderalismus, und im Juni 2021 wurden die jüngsten Ergebnisse veröffentlicht, diesmal zu Autoritarismus und der Covid-Pandemie. Wie aber werden demokratiepolitische Themen in einer Grenzregion verhandelt? Dem geht ein aktuelles Interreg-Projekt nach, das die Regionen Osttirol, Südtirol und Belluno näher betrachtet. Das ADL hat den Osttiroler Part für das dortige Regionsmanagement (RMO) übernommen und wird in der zweiten Augusthälfte 2021 mehrere Gesprächsrunden in Gemeinden organisieren. Das Projekt Was bedeutet Demokratie für mich – Betrachtungen in der grenzüberschreitenden Dolomiti Live Region / ITAT4148 basiert dafür auf mehreren Schienen.
Zunächst arbeiten die Teams dreier Universitäten (Donau-Universität Krems, Eurac research sowie Fondazione Comelico Dolomiti Centro Studi Transfrontaliero) grenzüberschreitend an der Projektgestaltung. Innerhalb eines halben Jahres seit Ende Jänner 2021 wurden die Rahmenbedingungen, der wissenschaftliche Hintergrund und die Interviewmethode gemeinsam ausgearbeitet. Zwischen Mitte August und Mitte September finden in jeder Region moderierte Gesprächsrunden statt. Umflossen wird das Ganze von Interviews mit Einzelpersonen aus Zivilgesellschaft und Politik. Die Ergebnisse werden wiederum gemeinsam ausgewertet und im September 2022 der Öffentlichkeit vorgestellt.
Gesprächsrunden in der Bevölkerung als Zentrum der Forschung
Den Hauptteil der Forschung stellen jene Runden dar, in denen jeweils eine Gruppe von 25 bis 30 Personen, in Kleingruppen aufgeteilt und nach Festsetzung aller Anti-Covid-Maßnahmen, miteinander diskutieren wird. Es geht dabei um die eigene Einstellung zu Demokratie und darum, welche Rolle Demokratie, insbesondere die Teilhabe daran, im eigenen Alltag spielt und spielen soll. Die Runden bestehen aus möglichst heterogenen Gruppen, von der wahlberechtigten Schülerin über Bauern, Lehrende, Angestellte bis hin zu Pensionist*innen werden alle Alters- und sozialen Gruppen vertreten sein. Jede Person wird im Vorfeld gebeten, einen Gegenstand mitzubringen, der für sie Demokratie symbolisiert. Diese Gegenstände bilden den Ausgangspunkt für die Diskussionen, die in der Storytelling-Methode moderiert werden, was sicherstellt, dass den Sprechenden möglichst viel Raum gegeben wird.
Darüber hinaus soll mit den Diskussionen und den dadurch auch in den Medien generierten Debatten eine Sensibilisierung für Partizipation erreicht werden. So gesehen wird auch die Politische Bildung gefördert, nicht zuletzt dadurch, dass Menschen einander zuhören und miteinander sprechen, jenseits der üblichen Filter und Blasen.
Rausgehen aus dem Elfenbeinturm
Solche Projekte benötigen die Begeisterungsfähigkeit der Bevölkerung, denn wenn niemand mitmachen möchte, kann die Forschung nicht stattfinden. Das bedeutet auch für die Forschenden eine gewisse Herausforderung. Der bekannte Elfenbeinturm ist dabei nicht möglich. Stattdessen steht im Zentrum die Begegnung mit Menschen. Einige davon sind interessiert, andere meinen, ganz unpolitisch zu sein, andere hoffen, dass ihnen endlich zugehört wird. Teilweise reagieren sie skeptisch oder kritisch der Wissenschaft gegenüber, oder würden eigentlich lieber über Tagespolitik sprechen, als über die Frage, was die bräuchten, um sich beteiligen zu können und zu wollen. Doch genau diese Mischung ist es, die den Gesprächen den Wert für die Forschung gibt. Gleichzeitig ist es eines der größten Geschenke in der Demokratieforschung, wenn Menschen bereit sind, ihre Geschichte zu teilen.