Wer partizipieren darf, wer partizipieren kann
Zu Formen politischer Beteiligung und direkter Demokratie wurden an dieser Stelle schon einige Beispiele gebracht. Mindestens ebenso wichtig wie das „Wie“ ist das „Wer“ – also die Frage nach den Voraussetzungen, die jemand erfüllen muss, um an der Politik in einem Staat teilnehmen zu können.
Politische Beteiligungsrechte stehen in Demokratien wie Österreich nicht automatisch allen Menschen offen. Damit ergibt sich ein Unterschied zwischen der Wohnbevölkerung und jenen BürgerInnen, die aktiv an Politik teilnehmen können. Eine perfekte Deckungsgleichheit ist nie zu erzielen, idealerweise ist diese Kluft aber möglichst gering. De facto nimmt sie in Österreich in den vergangenen Jahren tendenziell zu. Damit steigt der Anteil jener, die von Politik betroffen sind, sie aber kaum direkt beeinflussen können.
Als grobe Regel gilt: Je verbindlicher die Form der Beteiligung ist, desto strenger sind die Zugangsregeln. Das betrifft in Österreich vor allem Volksbegehren, Volksbefragungen und Volksabstimmungen. Alle drei setzen die Wahlberechtigung als Teilnahmekriterium voraus.
Diese hängt ihrerseits von drei Faktoren ab: Staatsbürgerschaft, Alter und fehlende Ausschlussgründe. Der letztgenannte Punkt ist gleichzeitig jener mit der geringsten zahlenmäßigen Tragweite: Er betrifft nur Personen, die zu einer unbedingten Haftstrafe von mindestens fünf Jahren (bzw. zu einer einjährigen Haftstrafe bei Vergehen wie Landesverrat oder NS-Wiederbetätigung) verurteilt wurden. Der Ausschluss vom Wahlrecht wird richterlich in jedem Fall einzeln verhängt und endet mit der Verbüßung der Strafe.
Die Staatsbürgerschaft als Voraussetzung ist, auch weltweit gesehen, weitgehend Standard: Nur vier Länder erlauben es Personen ohne Staatsbürgerschaft, an landesweiten Wahlen teilzunehmen, es sind dies Neuseeland, Chile, Malawi und Uruguay (Wüst 2013). Bedingung ist eine bestimmte Aufenthaltsdauer, die in Neuseeland mit zwei Jahren sehr kurz, in Uruguay mit 15 Jahren sehr lang ist. In Wien gab es 2002 den Versuch, Personen ohne Staatsbürgerschaft das Wahlrecht auf Landesebene einzuräumen, wenn diese mindestens fünf Jahre ihren Hauptwohnsitz in der Stadt hatten. Dieses „AusländerInnenwahlrecht“ wurde 2004 vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben.
Das Alter schließlich ist ebenfalls ein gängiges Kriterium, das als Schwelle zur politischen Mündigkeit interpretiert wird (politische Altersgrenzen sind allerdings entkoppelt etwa von Fragen der Strafmündigkeit). Wie alt jemand konkret sein muss, um sich für die aktive Teilnahme an direktdemokratischen Verfahren zu qualifizieren, ist sowohl international als auch historisch unterschiedlich. In Österreich erhalten seit 2007 bereits 16-Jährige das Wahlrecht, ein vergleichsweise niedriges Alter, das nur in sehr wenigen anderen Staaten wie Nicaragua und Brasilien gilt. Umgekehrt liegt beispielsweise das Wahlalter für den Senat (die zweite Parlamentskammer) in Italien bei 25 Jahren (ansonsten bei 18 Jahren).
Wohn- und Wahlbevölkerung
Anmerkung: Der Anteil der wahlberechtigten Bevölkerung an der gesamten Wohnbevölkerung, jeweils im Jahr einer Nationalratswahl. 2008 verringert sich der Abstand, da 16- und 17-Jährige das Wahlrecht erhalten.
Grafik: Flooh Perlot
Quelle: Statistik Austria; Bundesministerium für Inneres
Soweit zu den strikten Zugangsregeln. Bei sogenannten unverfassten Formen der Teilhabe ist die Situation anders: Das Mitmachen bei einer Demonstration oder das Sammeln von Unterschriften setzen keine formalen Kriterien voraus, jede/r kann sich daran beteiligen. Diese und ähnliche Maßnahmen haben an sich keine gesetzlich definierte Wirkung, können aber durchaus Effekte erzielen.
Es wäre allerdings eine unzulässige Verkürzung, würde man in diesen Fällen davon sprechen, dass keine Zugangshürden vorliegen. Punkte wie verfügbare Informationen, Zeit und letzten Endes auch Geld spielen eine Rolle: Weiß man über Möglichkeiten der Meinungsäußerung Bescheid? Hat man die Zeit, daran teilzunehmen? Kann man es sich leisten? Nicht zuletzt, traut man sich selbst zu, öffentlich zu partizipieren?
Eine Demokratie steht vor der Herausforderung, möglichst vielen Menschen eine politische Beteiligung zu erlauben. Dabei geht es nicht nur um die Definition von Zugangsregeln, sondern auch darum, wie man jedem/r Einzelnen die Kompetenzen und Ressourcen einräumen kann, die für Partizipation notwendig sind.
Quelle:
- Wüst, Andreas M (2013): Wahlen und politische Repräsentation, in: Meier-Braun, Karl-Heinz/Weber Reinhold (Hg.): Deutschland Einwanderungsland. Begriffe – Fakten – Kontroversen, Stuttgart, S. 214-217.